Philipp Vanek hat seine Ringerstiefel ausgezogen

Seine letzte große Bühne hatte Philipp Vanek beim Zweitliga-Heimkampf der Nürnberg Grizzlys gegen den SRC Viernheim. Obwohl der mittlerweile 35-jährige Griechisch-Römisch-Spezialist sein Duell im Halbschwergewicht verlor, feierten ihn seine Teamkollegen und die Zuschauer. Noch auf der Matte zog Vanek seine Ringerstiefel aus, um damit zu zeigen: Jetzt ist seine aktive Zeit bei den Nürnbergern Geschichte. Philipp Vanek stand uns Rede und Antwort.

Die aktive Karriere ist vorbei. Siehst Du es mit einem weinenden und lachenden Auge?

Philipp Vanek: Das trifft wohl beides zu. In erster Linie bin ich aber froh, dass ich selbst entscheiden konnte, wann ich das Kapitel für mich beende – und nicht von einer Verletzung gezwungen werde, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Zudem hatte ich etwas Zeit, mich auf diesen Zeitpunkt vorzubereiten. Meine letzte komplette Saison war 2018/2019, danach habe ich nicht mehr als zwei, drei Kämpfe im Jahr gemacht. Ich konnte mich also schon schrittweise an das „Leben neben der Matte“ gewöhnen. Dieses Jahr habe ich auch gemerkt, dass ich nicht mehr ganz in der Lage gewesen bin, die Leistung abzurufen, die ich gerne von mir gesehen hätte. Ich habe fast mein gesamtes bisheriges Leben gerungen, es war immer ein fester Teil – natürlich werde ich es vermissen!

Du hast jetzt knapp 30 Jahre für die Grizzlys gerungen. Was bleibt da hängen?

Vanek: Ich konnte mir ehrlich gesagt niemals vorstellen, für einen anderen Verein zu ringen. Ich konnte mir nie vorstellen, dass ein Heimkampf kein richtiger Heimkampf ist, sondern auch einer vor für mich fremdem Publikum. Ich habe mich im Verein immer wohlgefühlt, gleichzeitig wurde ich auch immer gefördert, gefordert und unterstützt. Da war es immer selbstverständlich für mich, dass ich Teil der Grizzly-Familie bleibe.

Ich bin auch in diesem Verein groß geworden. Wir waren von der Jugend an eine feste Gruppe und obwohl Ringen ein Einzelsport ist, haben wir Herausforderungen gemeinsam gemeistert. Hängen bleiben vor allem viele Erlebnisse außerhalb der Matte. Auch in schwierigen Phasen, die jeder mal hat – sowohl sportlich als auch menschlich – waren der Verein und die Menschen ein sicherer Hafen. Gerade bei mir ist es so, dass mich Veränderungen schon immer sehr beschäftigt haben, eine Herausforderung gewesen sind. Aber egal, was sich in meinem Leben verändert hat – das Ringen, die Grizzly-Familie, das war immer da und hat mir Struktur gegeben.

Ich bin auch der Meinung, dass viele Werte, die in einem Sportverein generell vermittelt werden, heutzutage zu kurz kommen. Nur um ein Beispiel zu nennen: Die Fähigkeit, Kompromisse einzugehen, von der eigenen Meinung ein Stückweit abzurücken und andere Sichtweisen zu akzeptieren – das sollte eigentlich in unserer Gesellschaft zum normalen Umgang gehören. In einem Sportverein gehört das ganz selbstverständlich dazu. Und diese und noch viele weiteren Erfahrungen haben mich geprägt.  

Zum Abschluss gab es für Dich nochmals die Bühne in der Zweiten Bundesliga Süd. Leider mit einer knappen Niederlage. Schmerzhaft?

Vanek: Ganz klares „Nein“. Natürlich hätte ich den Kampf gerne gewonnen und mich mit einem Sieg verabschiedet. Aber viel wichtiger war es mir, einfach noch einmal alles zu geben, mich auf der Matte „zu zerreißen“ – so wie ich es in all den Jahren zuvor zumindest versucht habe. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass ich überhaupt die Möglichkeit bekommen habe, noch einmal in der Bundesliga auf die Matte zu gehen. Das ist keine Selbstverständlichkeit, zumal wir noch um Platz zwei kämpfen. Dafür bin unserem Trainer Matthias Baumeister sehr dankbar. Er hat mir diesen Kampf vor einem Jahr versprochen und Wort gehalten – übrigens auch eine Eigenschaft, die nicht mehr allzu häufig vorkommt und die ich am Umgang in unserem Verein sehr schätze.

Ich war auch selten so aufgeregt vor einem Kampf. Aber – zum Glück – hat sich diese Nervosität mit dem Anpfiff gelegt und im Kampf war es dann eigentlich wie immer. Ich habe mir im Vorfeld vorgenommen, alles besonders zu genießen – und dann war ich so aufgeregt und im Kampf so fokussiert, dass es eigentlich so gewesen ist wie immer. Da mir Gewohnheiten und Routinen sehr wichtig sind, kann ich mir keinen besseren letzten Kampf vorstellen. Ich habe mir auch vorgenommen, diesen Kampf nicht anzusehen, ich behalte ihn so in Erinnerung, wie ich ihn live wahrgenommen habe. Da war es ein knapper Kampf, mein Gegner hat keinen Fehler gemacht und am Ende hat mir ein bisschen die Power gefehlt, um als Sieger von der Matte zu gehen. So einfach kann Ringen manchmal sein.

Du hast sicherlich viele Ringer gesehen, es miterlebt, als sie ihre Ringerschuhe auf der Matte ausgezogen haben, um damit symbolisch zu zeigen: „Ich höre jetzt auf.“. Wie war der Moment für Dich?

Vanek: An so richtig viel kann ich mich nicht erinnern. Ich war müde und kaputt vom Kampf, ich habe wirklich noch einmal alles reingelegt, was ich in mir hatte. Und dann war auf einmal alles anders, als ich es sonst gewohnt gewesen bin – normalerweise ziehe ich mich nach meinen Kämpfen immer erst einmal für einen kurzen Moment zurück, brauche etwas Ruhe. Dieses Mal aber stand ich im Mittelpunkt, so viel Aufmerksamkeit habe ich – glaube ich – noch nie bekommen. Mir war klar, dass etwas für meinen Abschied geplant gewesen ist, der Umfang und die Art und Weise haben mich dann aber trotzdem überrascht. Es waren viele meiner ehemaligen Weggefährten in der Halle, das hat mich sehr gefreut. Aber vor allem war meine Familie da, ohne deren Unterstützung all die Jahre ich niemals bis zu diesem Kampf gekommen wäre. Das war mir mit Abstand das Wichtigste. Besonders meinen Papa habe ich dahingehend eigentlich alles zu verdanken, ich habe viel von im gelernt, er war immer mein Ruhepool vor den Kämpfen, auch an diesem Samstag. Ich habe mich auch gefreut, dass meine beiden Kinder dabei waren: Auch wenn sie sich in einigen Jahren vielleicht nicht mehr daran erinnern können, so haben sie mich zumindest noch aktiv auf der Matte gesehen. 

So genau erinnern kann ich mich an alles nicht mehr: Ich habe meine Schuhe ausgezogen, wurde durch die Halle getragen und habe viele Menschen umarmt und abgeklatscht. Aber an eines kann ich mich noch sehr gut erinnern: Ich hatte das Gefühl, dass wir als gesamte Grizzly-Familie so einen Moment mal wieder gebraucht haben. Es gab schon so lange keinen richtigen „Abschied“ mehr, viele meiner ehemaligen Mannschaftskollegen haben – meiner Meinung nach – viel zu früh aufgehört, einige leider auch aufgrund von Verletzungen. Viele der Zuschauerinnen und Zuschauer haben mich schon ringen gesehen, als ich noch in der Schülermannschaft gewesen bin – und jetzt waren sie bei meinem letzten Kampf dabei. Für mich war dieser eine Moment eine Form der Anerkennung und Dankbarkeit, wie sie heute leider selten geworden sind. Schon alleine deswegen war dieser Abend ganz besonders für mich. 

Ein Comeback schließt du gänzlich aus? Also du hilfst nicht mehr aus, wenn Not am Mann ist?

Vanek: Auch wenn man „niemals nie“ sagen sollte, so möchte ich diese Frage schon generell mit einem „Nein“ beantworten. Zum einen hoffe ich natürlich, dass kein „Not am Mann“ entstehen wird im kommenden Jahr. Wenn die Jungs von Verletzungen verschont bleiben, dann werde ich gar nicht mehr gebraucht. Zum anderen möchte ich der Mannschaft immer helfen können, wenn ich auf der Matte stehe. Und da habe ich dieses Jahr schon gemerkt, dass ich zunehmend nicht mehr die Leistung abgerufen habe, die ich selbst von mir erwartet habe. Ich habe zu viele Ringer gesehen, die ihr Ende zu lange vor sich hergeschoben haben – da möchte ich mich nicht einreihen. 

Seit einigen Jahren kommentierst du die Heimkämpfe der Grizzlys in der Ersten und Zweiten Bundesliga im Fernsehen. Das machst Du weiter?

Vanek: Diese Aufgabe bereitet mir richtig viel Spaß, wenngleich es auch einiges an Vorbereitungszeit bedeutet. Ich war ja von Anfang an dabei, mittlerweile ist die Übertragung so professionell geworden. Mir waren dabei von Beginn an zwei Aspekte wichtig: Einerseits wollte ich die Sportart Ringen möglichst einfach vermitteln. Andererseits ist mir eine neutrale Sichtweise wichtig. Auch wenn mein Herz für die Grizzlys schlägt, so versuche ich die Vereinsbrille abzunehmen – soweit es eben möglich ist. Wenn mir das gelingt, dann bin ich zufrieden, und wenn es mir nicht gelingt, dann muss mir das bitte auch ehrlich gesagt werden – denn dann soll Jemand anderes den Job übernehmen. Aber solange das nicht der Fall ist, bin ich gerne weiterhin am Mikrofon.

Als Familienvater steht primär nun die Familie im Fokus. Werden wir Philipp Vanek eines Tages in einer Funktionärstätigkeit bei den Grizzlys sehen?

Vanek: Die Familie steht schon seit Längerem im Fokus. Mit der Geburt meines ersten Kindes habe ich die Trainingsumfänge schon deutlich reduziert, auf keinen Einzelmeisterschaften mehr teilgenommen und im Ligenbetrieb nur noch ausgeholfen. Da hat diese Saison die Ausnahme gebildet, da musste ich schon deutlich mehr Zeit investieren. Zeit, die man natürlich gerne mit der Familie verbringt.

Eine Funktionärstätigkeit schließe ich für die Zukunft nicht aus. Was mir dabei jedoch wichtig ist: Ich werde nicht irgendeinen Posten bekleiden, nur damit ich eine Funktion habe. Wenn ich ein Amt oder eine Aufgabe übernehme, dann muss diese zu mir passen, ich dem Verein dabei wirklich helfen können. Im Moment wüsste ich aber nicht, wie ich helfen kann. Die zentralen Stellen sind in guten Händen, wenn dabei der eine oder andere einmal etwas temporäre Hilfe benötigt, bin ich gerne dabei. Und vielleicht ändert sich die allgemeine Situation in Zukunft ja dahingehend, dass meine Hilfe dauerhaft gebraucht wird. Darüber mache ich mir jetzt aber noch keine Gedanken.

Was ist dran an einer möglichen Teilnahme an der Veteranen-WM?

Vanek: Das ist noch das letzte große Ziel, das ich mir gesteckt habe. Eine Teilnahme bei einer Weltmeisterschaft. Und da ich jetzt 35 Jahre alt bin, darf ich teilnehmen. Ich habe das immer mal wieder anklingen lassen, dass das doch noch einmal eine schöne Sache wäre. Und bevor ich immer und immer wieder davon spreche, habe ich mir das als Ziel vorgenommen. Ich versuche, mich da jetzt ein Jahr gut vorzubereiten, hoffe darauf, dass ich verletzungsfrei bleibe. Denn körperlich und konditionell war ich diese Saison eigentlich überrascht, wie gut es gegangen ist. Diese Form möchte ich mir bewahren, um damit dann vielleicht das eine oder andere Defizit auszugleichen. Auf diesem Weg sind dann das erste Etappenziel die German Masters im Sommer – und wenn die gut laufen, dann möchte ich zu den Weltmeisterschaften. Und da bin ich dann gespannt, wie hoch die Trauben hängen. Vom schnellen Ausscheiden bis zum Finale wäre ja alles möglich. Ich habe echt keine Ahnung, was mich da erwarten würde – das finde ich spannend. Mich reizt dabei auch, mich noch einmal mit Sportlern meiner Altersklasse zu messen. Ich freue mich einfach darauf, diese Erfahrung noch zu machen.

09.12.2023 --- Ringen --- Saison 2023 2024 --- 2. Bundesliga-S¸d --- N¸rnberg Grizzlys - SRC Viernheim --- Foto: Sport-/Pressefoto Wolfgang Zink / ThHa --- xthxhax ---

Philipp Vanek (N¸rnberg Grizzlys ) zieht die Schuhe aus und h‰ngt sie an den Nagel, Karriereende